In den kalten Winternächten im grauen DDR Haus beim Einschlafen als kleiner Bub von Vaters Akkordeonspiel in den Schlaf gespielt - bei angelehnter Tür, schmalem Lichtspalt, durch den die Musik einträufelte. Schwärme von Melodien, Schlager der 30er, 40er und 50er Jahre, "Tiritomba", "Zwei Kleine Italiener"," Pack Die Badehose Ein", oder Lieder aus Amerika, damals noch ziemlich unerreichbar. An der Rheinmole in Düsseldorf, da war jener Schwarze, der dieses Lied auf der Gitarre spielte und gospelartig dazu sang. Später hab ich es als "Whole World In His Hands" wiedererkannt, immer noch einer der Lieblings-Spiritual Songs.
Nach dem zünftigen Schuhplattlerabend in dem Zillertaler Nest Hintertux, den man uns Flachlandtirolern offerierte, durfte ich 9 jähriger in der überraschend gut sortierten Plattensammlung der Bergbauern stöbern und zum aller ersten Mal Vinylsingles auf dem kleinen Gerät abspielen: Elvis Presley und Cliff Richard, Bill Haley. "See You later Alligator" liess die alpinen Heimatklänge für mich verblassen. Vor dem Fenster rauschte der Bergbach. Da ich des Englischen damals noch nicht mächtig und auch in den Dingen romantischer Verstrickungen noch ziemlich unbedarft war, konnte ich den Sinn des Songs nur geografisch entschlüsseln. Es musste sich wohl um eine Rock'n Roll Hymne über die Alligatoren der Sümpfe Floridas handeln, die für die Bubenphantasie natürlich ebenso gut am Ufer der Ziller Platz hatten.
Anfang der 60er Jahre tauchten plötzlich Bluesplatten auf dem Plattenspieler meiner Eltern auf. Man hörte ab und zu "Boom Boom Boom" von John Lee Hooker aus dem Nierentischwohnzimmer dröhnen, und andere coole Stücke von Memphis Slim, Big Bill Bronzy und anderen. Nebenbei viel Klaviergeklimper von Oskar Peterson. Jazz für den Pfeifenraucher. Und da waren noch diese Golden Gate Singers (welche ich die Ehre hatte, sie einmal in einem famosen Konzert in unserer Stadthalle zu bewundern), Mahalia Jackson und Ella Fitzgerald. Ich bekam einen ersten Eindruck von der Qualität der black music. Die Kriegsgefangenschaft meines Vaters in Amerika hatte wohl Früchte getragen. Nebenbei lief viel die Knef: "Für mich soll's rote Rosen regnen", "Eins und eins, das macht zwei". Deutsche Chansons, die auch mich irgendwo tangierten. Sonst hatte ich deutschsprachiger Musik gegenüber eher ein indifferentes Verhältnis. Doch da gab es dieses gehauchte Chanson von Francoise Hardy, das 1965 in der Bravo Hitparade gleich auf "Satisfaction" folgte: "Frag den Abendwind." Francoise, chante encore une fois cette chanson pour nous … frag den Silbärmond, wo die Libbe wohnt... wunderbarer französisierter Kitsch. Ja,diese Franzosen - und gleichzeitig tauchte der Retter Pierre Brice als Winnetou in den ersten Breitwandkinos auf. Meine aller erste LP übrigens war ein Geschenk der Grossmutter aus der DDR - eine Amiga Schallplatte: Louis Armstrong im Duett mit Bill Cosby. Im Laufe der Zeit konnte ich mir so aus den DDR Paketsendungen und Besuchen eine rechte "Amiga" Schatzsammlung aufbauen, von Country Blues über Gershwin bis Charles Aznavour und Edith Piaf, alles Elaborate des aufrechten musikalischen "Erbes aus dem kapitalistischen Ausland" mit entsprechenden klassenkämpferischen Kommentaren auf den Plattenhüllen. (Deutsche Musik - was blieb eigentlich übrig? Einiges wenige Gute zwischen "Merci Cherie" von Udo Jürgens und "Auf der Espressomaschine" von Franz Josef Degenhardt.)
In der Musikschule auf dem Gymnasium lernte ich Fagott spielen, weil man im Orchester unbedingt einen Fagottspieler brauchte. Ich hab mir die Lunge ausgeblasen in den stickigen Zimmern des ehrwürdigen Gymnasiums. Es wurde leider keine Fagottliebe daraus, ich brachte es nicht zum Einstieg ins Orchester und musste das Instrument wieder abgeben. Doch der Geruch des alten Instruments taucht noch manchmal auf. Welche Recherche hätte sich Meister Proust dazu einfallen lassen? Gab es je ein Stück im Pop, wo das Fagott eingesetzt wurde - vielleicht bei John Cale oder versteckt bei den Beatles - etwa im Abspann von "All You Need Is Love"? Ganz sicher bei Henry Cow, einer Band, die wahrscheinlich nur noch mein Kollege Herbert kennt.
Der besessene Musiklehrer, der, etwas beleibt mit Haartolle und Hosenträgern auf dem Klavierstuhl hin- und herwippend, uns die "Carmina Burana", Strawinksys' "Sacre Du Printemps" und die Winterlieder von Schubert nahe brachte, liess sich dazu überreden, "Good Vibrations" von den Beach Boys zu analysieren. Doch zu unserer herben Enttäuschung fand er es vom Musikalischen her nur mässig interessant. Händels "Hallelujah" wartete schon. Mitten in meinem Stimmbruch brachte man das Mozartsingspiel "Bastian und Bastienne" zur Aufführung. Ein Opus für Frühverliebte, mit dem Schäfer Herr Colas als Magic Love Healer. Dieses frühe Stimmtraining unter teils strapaziösen Bedingungen lieferte wohl auch mit die Basisgrundlage für die späteren Gesangseinlagen im Wonderlake Studio. Ausserdem wurde die Liebe zur Oper, zum Konzertanten gestiftet, obwohl die Zahl der Operbesuche von der Anzahl der besuchten Pop/ Rock Konzerte wahrscheinlich etwas in den Schatten gestellt wurde.
Auf unseren Klassentreffen berichtet man immer wieder von dem legendären Kennerzirkel der Plattentauscher, die sich regelmässig in der grossen Pause an der Schulhofmauer des altehrwürdigen Gymnasiums trafen, um sich gegenseitig die neuesten Trophäen zu präsentieren. Die ersten Pressungen der dicken Vinyl LPs in den famos gestalteten, auratischen Hüllen: "Aftermath", "Revolver", "Bee Gees First", Walker Brothers' "Images", Creams "Disraeli Gears", "Axis Bold As Love" - Hendrix. Wenige auserwählte Bands versuchten sich in stimulierenden Konkurrenzkämpfen in ihrer Kunstfertigkeit zu übertreffen. Die besagten Who waren von Zeit zu Zeit die besseren Beach Boys ("I'm A Boy") oder die Stones die besseren Beatles ("Ruby Tuesday"), natürlich unterstützt von ihren musikalischen! Musikmanagern. Neben dem Briefmarkensammeln und dem Interesse für Fussball verwaltete ich in meiner Teenagerfreizeit die diversen Hitparaden. Hier reihte sich eine Perle des Pop an die andere, und in die herkömmlichen Rhythm' and Blues-, Beatmusik-, und in die klassischen Schlagerschemata verirrten sich bald auch experimentelle Klangsequenzen, die bis dato noch niemand gehört hatte: "See Emily Play", "I Can See For Miles", "Eight Miles High”, "From The Underworld", "Night Of The Long Grass".
Psychedelia hatte Einzug gehalten.
In der 11. Klasse sass eine Bankreihe vor mir dieser Kumpel W. M., dessen von den Lehrern argwöhnisch beäugte Langhaarmähne bei anstrengenden Integralaufgaben in merkwürdige Zuckungen geriet. Dieser selbst definierte Outcast lud mich eines Tages in seine Wohnung ein, um mir "The Saucerful Of Secrets" zu Gehör kommen zu lassen. In bewegungsloser Ehrfurcht hockten wir in seinem düsteren Achtquadratmeterzimmer einer Kleinstwohnung im Sozialblock und tauchten ein in die Sphärenmusik von Pink Floyd.
Mit Schrecken konnten wir beobachten, wie dieser von gewissen Lehrern als "Schlurf" titulierte Kollege in die Kiffer- und Drogenszene abrutschte, die damals nur in Anfängen existierte, und früh verstarb. Die Beerdigung war feierlich, und die Betroffenheit der ehemaligen Mitschüler wahrscheinlich echt.
Meine erste Gitarre bekam ich mit 15 im Familienurlaub an der Ostsee von meinem Vater geschenkt, eine sein damaliges Budget ziemlich belastende, wertvolle schwedische Country-Gitarre. Zur Bedingung hatte er aber gemacht, dass ich mir meine damals recht ansehnliche Mähne stutzen lassen würde.
Die Frage, ob Musik oder Life/Hairstyle, war relativ leicht zu beantworten.
Gegen eine bodenständige Kurzfrisur tauschte ich dieses Levin Instrument ein, welches bis dato das Kompositionsinstrument sämtlicher Wonderlake Songs geblieben ist. Diese Klampfe hat bei weitem bessere Tage gesehen, mit dem zerschrammten Korpus und den nach diversen Beschädigungen provisorisch verklebten Zargen, aber für mich tönt sie immer noch markant, mit ihrem leicht dumpfen, basslastigen Klang, den besonders ein schwarzer Kater zu schätzen weiss, der mir seit langer Zeit kompositorischen Beistand leistet.
Zur Anwendung gelangte das autodidaktische Gitarrenspiel auf gewissen Fahrradtouren in das nah gelegene Mittelgebirge. Auf dem Grillplatz der Jugendherberge auf den Höhen über der Rurtalsperre sang ein geheimnisvolles Mädchen aus Köln mit sanfter Stimme "Farewell Angelina" von Bob Dylan. Mit gewissem Stolz konnte ich ihr mein gerade frisch angeeignetes "Catch The Wind" von Donovan entgegnen. Getreu dem Shakespeare'schen Motto "Music is he food of love" entwickelte sich ein zarter Briefaustausch zwischen den auch damals schon verfeindeten Metropolen Düsseldorf und Köln. Kenner wissen es ja: am Kölner Bahnhof gibt es ein Büchlein mit leeren Seiten zu kaufen mit dem schönen Titel: "Sehenswürdigkeiten in Düsseldorf" Von einem Kollegen konnte ich als Zweitgerät günstig eine Höffner Halfacoustic erstehen, und der Moment, wo ich zum ersten Mal auf unserem kleinen Balkon mit Blick auf die Tankstelle an der Ausfallstrasse gen Westen "Just Like A Woman" intonierte, war ein gelinde gesagt majestätischer.
Neue Platten wurden in fast mythischen Stories über die einschlägigen Gazetten und Radiosender angekündigt. Den amerikanischen Billboard, dieses seitenstarke, gut griffige Musik-Monatsjournal, dessen Papier für mich 17jährigen so unverkennbar nach USA roch, besorgte ich mir immer am Düsseldorfer Hauptbahnhof. Man wartete monatelang auf das angekündigte Opus der Beach Boys "Heroes And Villains", welches das Follow up für das unerreichbare "Good Vibrations" darstellen sollte. "H.a.V." wird bis heute noch als langwierigste Plattenproduktion einer Single angesehen, und stellt für mich eine der gelungensten Tonsetzungen im einfachen Schema Tonika, Dominante, Subdominante dar. Als Tonbandbastler frickelten wir Freunde an Soundexperimenten im zum Klangraum umfunktionierten Badezimmer herum, oder gestalteten auf dem Balkon photographische Fantasiecovers für etwaige Fans. Ein erster Teenage Song entstand: "Funny Faces". Auf der Gedächtnisplatte fixiert ist, wie ich tagelang verzweifelt versuchte mein Grundig TK 45 zu reparieren. Es hatte unseren Kunstexperimenten leider nicht standgehalten.
Auf Schiffen vor der englischen und holländischen Nordseeküste hatten sich sogenannte Piratensender mit den hübschen Namen Caroline und Veronika etabliert. Sie setzten sich über Lizenzrechte hinweg und stellten einige Zeit vor Veröffentlichungstermin die Musik in den Äther. Diese hatten tief in der Nacht ihre besten Sendungen. "My Mind's Eye"(Small Faces) taucht wieder auf und es sieht, wie ich gegen Mitternacht zum ersten Mal "She's A Rainbow" von den Stones, diesem barockpopartig gesetzten Stück mit dem Pianointro von Nicky Hopkins über den mit Ätherrauschen unterlegten Piratensender lausche. Das grüne Auge des Röhrenradios wacht über meinen Schlaf.
In die Tanzstunde mit Foxtrott, Walzer und Tango hatte jemand die frisch gepresste "Sergeant Pepper" mitgebracht und die Schüler drohten mit einem Tanzstundenboykott, wenn diese Scheibe, und zwar in voller Länge, nicht sofort kollektiv zu Gehör gebracht würde. "Fixing a hole, where the rain gets in, and stops my mind from wandering ..." Noch brachte es der Tanzlehrer nicht über sich, zu "Lucy In The Sky With Diamonds" eine flotte Sohle aufs Parkett zu legen. Und was mochte er bei dem letzten Ton von "Day In The Life" gedacht haben? Den kryptischen Text von "Whiter Shade Of Pale" versuchten wir in der Englischstunde interpretativ zu knacken, doch nicht nur für die weniger Intellektuellen unter uns war es noch angesagter, zu diesem Stück in den damals neu aufkommenden Partykellern der Reihenhaussiedlungen den Klammerblues zu üben. Gesteigert wurde dies nur noch durch Tuchfühlung bei "Nights In White Satin". Der schwülen Sommerhitze konnte nur der Gang ins nahgelegene Schwimmbad, oder "Rain" von den Beatles Abhilfe verschaffen. Am besten war natürlich beides: mit dem neuen Transistorradio auf dem schmalen Handtuch liegend Limonade zum Sound der Ragagitarre von George Harrison zu schlürfen.
"... they sip their lemonade ... "
Nach stürmischer Überfahrt und frühmorgendlicher Ankunft mit der Fähre im dunstigen Dublin, wurden wir von einem jungen Iren, dessen Familie ein Haus über der Dublin Bay besass, und der behauptete, mit dem Neffen von James Joyce verwandt zu sein, mitgenommen. Er legte die richtige Scheibe auf: "Astral Weeks" von Van Morrison. Mit der passenden Musik war man immer im richtigen Film. In dieser Zeit des hippieesken Urvertrauens fanden wir Hitchhiker leicht Unterkunft bei Privatleuten. Als doch eigentlich Wildfremde konnten wir es uns in den Gemächern bequem machen und die Plattensammlungen der Bewohner besichtigen. In Galway machte ich auf diese Weise meine erste Bekanntschaft mit einer Scheibe der Incredible String Band: "The Hangman's Beautiful Daughter", driftende Musik der Psychedelic Folk Kommune um M. Heron und R. Williamson. Eine Woche später gelangten wir in die Bürgerkriegsstadt Belfast und passierten die militärischen Sperrgürtel. In den Plattenshops glommen die Räucherstäbchen und es lief "Open Road" von Donovan.
Those were the days.
En passant in Paris auf der Treppe an den Seinebrücken, habe ich einem von seinen Jüngern bestaunten "Hippie" die Akkorde von Dylans "Lay Lady Lay" abgeschaut. Die Bouquinisten am Seineufer konnten warten. Überhaupt war Dylan für unsereins wohl ein besserer Teacher als unser alter Englischlehrer, der noch zu viel auf Deutsch zu erzählen hatte, wohl um seine belastete Seele freizusprechen, von Stalingrad.
Die frühen Kraftwerk im Düsseldorfer Creamcheese - ein erhabener Moment. Ralf Hütters' Elektropopklänge - fast cembaloartig. Auf die mit Alu verkleideten Wände des schlauchartigen Creamcheese Verlieses wurde eine der ersten Multimediashows projiziert. Kunst und Pop hatten schon lange zueinander gefunden.
In der Studentenzeit verlor sich tendenziell das Interesse an reiner Popmusik und man wandte sich hehreren Dingen zu, Jazz (Coltrane, Cecil Taylor, Soft Machine, Miles Davis, Weather Report, Gabarek, Oregon, Carla Bleys "Escalator Over The Hill") und der Klassik von Schubert und Mahler. Dies brachte mich wohl in einer Art "Psychotic Reaction" dazu, grosse Teile meiner damals recht beträchtlichen Pop LP Sammlung zu verschenken. Bald danach fast mehr als "96 Tears" vergossen. Mühsam konnte ich viel später trotz gewissen Desinteresses an Flohmärkten favorisierte Stücke wieder Second Hand besorgen, wie etwa den obigen Knaller von Count Five, oder die ominöse "Tears" Scheibe von Question Mark and the Mysterians.
Erst gegen Ende der Siebziger kam mit Punk und New Wave das Interesse zurück. Damals lebte man in der düsteren, prosaischen Mauerstadt, in welche sich auch die Legenden Lou Reed und der David Bowie von "Low" zurückgezogen hatten. Diese Subkulturblüte im Schatten der Mauer wurde kürzlich filmisch ausgezeichnet dokumentiert. Ebenso liess Lou Reed jetzt seine Zeit wieder aufleben durch die im Tempodrom, Berlin, veranstaltete Wiederaufführung des seinerzeit in Berlin entstandenen Werkes mit dem geheimnisvollen Titel "Berlin". Wenn die Erinnerung nicht trügt: mit dem Doppeldeckernachtbus durch die winterkalte Halbmetropole zu den angesagten Tanzplätzen. Samtige Schlaghosen waren ebenfalls angesagt. Doch bald waren Punk- und Pogotanzen en vogue, die Clash und Elvis Costello gingen zu Gericht mit dem Siebziger-Jahre-Stillstand, und den unsäglichen Endlosimprovisationen von Bands wie Yes. Nein, für mich die einzigen Sterne in popdüsterer Mittsiebziger Zeit waren Roxy Music, Brian Eno, John Cale ("Hanky Panky Know-How"), John Lennon (hochprioritär empfehlenswert: "Lennon ist tot" von Alexander Osang, über einen, der damals nicht dabei war), Randy Newman, vielleicht auch der frühe Springsteen und in begrenztem Masse noch David Bowie, dem ersten "multioptionalen" Freak auf "Space Odyssy". Beinahe hätte man Robert Wyatt vergessen, den Drummer von Soft Machine, der sich bald selbstständig machte und ein tragisches Schicksal erlitt, als er sich im Haus seiner neuen Flamme vor seinem Kumpel verstecken wollte, indem er aus dem Fenster stieg und sich an der Brüstung festhielt. Der Absturz hatte eine Querschnittslähmung zur Folge. Seine Musik ist dennoch heil geblieben und fast immer besser geworden. "End Of An Ear" war jedenfalls schon eine Offenbarung. - Warum er sich verstecken wollte? Nun ja, der Klassiker aus Slapstickfilmen: seine neue Flamme war natürlich die Freundin des Freundes. Bös. Aus der Ruppigkeit und Verlorenheit des Punks aber stachen brillante Bands wie Blondie, Talking Heads, Cure und Television hervor, welche die Kunstschiene bedienten. Als ich zum ersten Mal im Plattenladen am Berliner Europacenter das schwarze Cover der Talking Heads Scheibe "Fear Of Music" in den Händen hielt, verwandelte sich der Platz vor der Gedächtniskirche in ein Szenario für Stadtnomaden wie David Byrne, der aufs Eindringlichste beschwor: "... find a city, I'll find a city to live in!" Diese Scheibe war mit ein Auslöser, selbst Musik zu machen.
Es war die Zeit des genialen Dilettierens.
Zurück am Bodensee beschloss ich mir eine E-Gitarre zu kaufen. Es war eine rote Ibanez. In den Gemäuern eines 800-jährigen Hauses in Konstanz versuchten ein Drummer-Kumpel und ich uns im winzigen White Room an ersten selbstgeschriebenen Stücken. ("Fighters Of Love", "Other Side Of The Shore")
Donovan in Düsseldorf, der weissgewandete "Hurdy Gurdy Man", bekannt für sein sporadisch einsetzendes Stimmentremolo, mit Harmonium und Gitarre, kurz vor der Hippiekitschschmerzgrenze, doch irgendwie traumhaft. "Isle Of Islay" – da musste man doch unbedingt einmal hin, dem "Fänger im Roggen" hinterher.
Ginger Baker und Steve Marriot, beide kurz nach der Auflösung ihrer Bands (Cream /Small Faces) im Eisstadion in Düsseldorf. Später ist Marriot den fast klassischen mit-Zigarette-im-Bett-eingeschlafen-Tod gestorben. Dies ist wahrscheinlich das Einzige, was er mit Ingeborg Bachmann gemeinsam hat.
Jimi Hendrix am Isle auf Wight Festival, aus der Ferne nur erahnt am Rande des Getümmels. Man war zwar irgendwie dabei gewesen, aber so ein ähnliches Gefühl muss es sein, wenn man von New York nur den Flughafen gesehen hat.
Alexis Korner im Konzil in Konstanz, der krächzende Bluesgrieche und musikalische Ziehvater der Stones, Claptons, der Yardbirds und vieler anderer. Wie hiess noch dieser eine Song? "Mary Open The Door" Jack Bruce solo in der Technischen Uni Berlin Ein charismatischer Bassist und genialer Komponist mit einer Stimme, die einen noch manchmal schaudern lässt. (s. Drifterradio)
Die Go betweens in der Roten Fabrik in Zürich, schwach besuchtes, aber ganz feines Konzert mit der wundervollen Amanda Brown an der Violine und Oboe. Fred Frith in der Roten Fabrik, der Soundfrickler und Virtuose des sehr speziellen Gitarrenspiels, roh, schräg und filigran zugleich und nie ein Endlossolo, Strukturgitarre eben!
Red Crayola/Lora Logic in Krefeld
Der Kunstprofessor Mayo Thompson mit seinen ironisch-marxistischen Texten, seiner Klassestimme und den interessant gesetzten Gitarrenakkorden. Selbst mein Vater, den ich zu diesem Konzert mitgenommen hatte, staunte und war begeistert, obwohl er keine Ahnung von den Texten hatte.
Camberwell Now in der Roten Fabrik in Zürich
Bekanntlich sind die Schlagzeuger oft die heimlichen Kreateure einer Band, siehe Robert Wyatt, siehe Phil Collins (nein, eher nicht unsere Kragenweite, mit Verlaub, nichts gegen den guten Kumpel Phil, mit ihm nähmen wir gerne ein Bier), aber siehe Charles Hayward, der Drummer von Camberwell, um den sich eine Experimentalband gruppierte, welche an der Grenze des Melodiösen den "schönschrägsten" perkussiven Sound produzierte. Nur die frühere Band von Hayward, This Heat war da noch besser.
Robyn Hitchcock im Tor 3 in Düsseldorf
Der New Wave Byrds Sound mit sehr verdächtigem Gesang und leicht schrulligen Worten: "My Wife And My Dead wife" ,eben wie es einem echten Hitchcock geziemte.
Jesus and Mary Chain in der Roten Fabrik in Zürich
Sanfter Brachialsound, in rötliches Licht getaucht. Velvet Underground liess grüßen.
Gun Club in der PH Weingarten
Ein gerade von Vietnam, dem Heimatland seiner Freundin zurückgekehrter Jeffrey Lee Pierce. Eine bessere Leidensstimme, treibendem Wolfsheulen gleich, und psychedelisch gefärbte Blues Wave Gitarre hab ich nie mehr gehört. Schade, dass er schon in den ewigen Jagdgründen weilt.
Alan Vega an der Uni Konstanz
Leonard Cohen im Bodenseestadion in Konstanz (s. Drifterradio)
Richard Thompson im Roxy in Los Angeles
Im Bezug auf Charisma und Souveränität können ihm nur noch Jack Bruce, Nick Cave und John Cale das Wasser reichen. Melodien, die einen in Abgründe stürzen, weltverlornes Gitarrenspiel, ein Gesang, der wohl aus einer Shakespearschen Zeit stammt. Thompson, ein Musicians Musician, im Roxy an der Strasse, wo die Hollywoodstars ihre Sterne abgelegt haben. In Erinnerung bleiben die Parfumflakons auf der Toilette. So edel hatte ich noch nie ein Konzert genossen.
Morogoro Jukebox
Nach einer Endlosfahrt durch die einsame tansanianische Nacht auf ziemlich brisanten Strassenbelägen wurde eine Pause vor der letzten Etappe nach Dar es Salaam eingelegt, um sich eine gut gewürzte Fischsuppe einzuverleiben. Da lag der Riesenfisch im Suppentopf und dazu spielte eine Band, wie sie besser zu dieser tropischen Nacht nicht hätte spielen können. Perfekter Harmoniegesang zu exquisitem Gitarrenspiel: die über die Bünde driftenden Finger in immer wieder den selben Akkordfolgen mit winzigsten Variationen, unterbrochen von minimalsten Solis, Verstummte da nicht voller Respekt selbst der Zikadenchor, draussen vor dem Drive-in?
An dieser Ju-Ju Music feinster Machart hätten auch Terry Riley oder Steve Reich ihre Freude gehabt. Die Fischsuppe hielt mich nicht am Tisch. Mit der Suppe konnte man nicht tanzen. Musiker, die sich "die Seele aus dem Leib spielten". Dafür gibt es nur ein Wort: Passion.
Da capo
Von allerschönsten Liedern sollte man überhaupt nicht sprechen, weil diese in Wirklichkeit nie einsam in dünner Luft existieren können, sondern aufgereiht sind auf eine Kette von Melodien und Rhythmen. Trotzdem gibt es Hitparaden, und auf der Hitparade meines Herzens hat sich ein Lied vor meine bisherigen Topplatzierungen geschoben, das nicht okzidental ist.
Nur kurz, wie sich jeder denken kann: zu den All Time Favourites zählt wohl "God Only Knows" vom Meister - Brian Wilson. Mit diesem Meilenstein eingängig-raffinierter Tonsetzung wurde zufällig auch mein erster eigener 45 Mark Plattenspieler eingeweiht. Einweihen hängt ja bekanntlich mit Weihe und weihevoll zusammen und Religionssoziologen würden Musikhören wahrscheinlich als säkulares Restelement des Religiösen bezeichnen (blubber ... ).
Aber dieses Liederl, das ich meine, stammt aus Madagaskar und wurde vom Gitarrenfuchs Henry Kaiser mit einer madegassischen Band auf dem Album "World Out Of Time" eingespielt. Eigentlich aber ist es fernöstlicher Herkunft und hat sogar einen japanischen Text, da die halbe madegassische Bevölkerung aus Asien eingewandert ist. Madagaskar ist ja geologisch gesehen ein weiterer Beweis für das kontinentale Driften, es liegt zwar vor der afrikanischen Küste, entfernt sich aber unmerklich von dieser.
Titel wird nicht verraten.